Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist

„Es ist so einsam im Sattel, seit das Pferd tot ist“ Selim Özdogan, aufbau Verlag, 2009


Ist das nicht ein sensationeller Titel? „Ja“, denke ich, „dann steig´ doch ab“ oder „suche dir ein neues Pferd“ oder „mach´ was, irgendwas“!

Ich kann gar nicht glauben, dass jemand im Sattel des toten Pferdes sitzen bleibt und offenbar nur sich und das Pferd und das Gefühl der Einsamkeit wahrnimmt. Scheinbar handlungsunfähig ist und sich bedauert.

Und dennoch ist das Verhalten ganz normal. Der Buchtitel beschreibt, finde ich, ausdrucksvoll Phasen im Veränderungsprozess, in denen Menschen sehr auf sich konzentriert sind und wenig oder keine eigenen Einflussmöglichkeiten sehen. Die Zeit, in der die Veränderung so richtig „durch und weiter dringt“ und ein Begreifen der neuen Situation stattfindet.

Von der Verneinung über die Einsicht zur Akzeptanz. Hierbei sinkt die Wahrnehmung des eigenen Einflusses, ich habe also das Gefühl, an der Situation gar nichts ändern zu können.

Was braucht es in dieser Zeit? Zum einen die Zeit selbst – wir können keine Phase überspringen. Zum anderen können wir uns und andere unterstützen, indem das tote Pferd Gesprächsthema bleibt. Wenn mich immer wieder jemand fragt, warum ich auf einem toten Pferd sitze, muss ich mich damit beschäftigen. Unangenehm ja, aber unausweichlich.

Nach dem Akzeptieren rückt der eigene Einfluss auch wieder ins Licht und mit ihm die Aktivität, das Ausprobieren. Und dann kann ich die Zügel wieder in die Hand nehmen – beziehungsweise in diesem Falle aus der Hand legen und ein neues Pferd suchen.

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